Aktuelles aus Presse und Internet
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Prof. Klemperer kritisiert Pressemitteilung der Kooperationsgemeinschaft Mammographie
Brustkrebs-Früherkennung: doch effektiv? Wie unterschiedliche Studienergebnisse zu erklären sind.
Die Früherkennung von Brustkrebs durch Mammographie in dreijährlichen Abständen bei Frauen im Alter ab 50 Jahren über einen Zeitraum von 20 Jahren verhindere 8,8 bzw. 5,7 Todesfälle pro 1.000 untersuchter Frauen. Gleichzeitig wird bei 4,3 bzw. 2,2 von 1.000 Frauen ein Brustkrebs entdeckt, der sich nie durch Beschwerden bemerkbar gemacht hätte. So lauten die Ergebnisse der jüngsten Auswertungen der schwedischen Two-County-Studie und des britischen Brustkrebsscreening-Programms durch die Arbeitsgruppe um Duffy.
Krebsforscher Otmar Wiestler: Wir müssen die Qualität der Früherkennung verbessern, nicht die Vorsorge streichen
Otmar Wiestler, Chef des Deutschen Krebsforschungszentrums, wirbt für flächendeckende Gentests zur Prävention von Krebserkrankungen. Er fordert Testverfahren, die das Erkrankungsrisiko aus Erbgut, Umwelt oder Lebensweise dokumentieren. Getestet werden sollen alle Gesunden.
Herr Professor Wiestler, warum können wir Krebs immer noch nicht heilen?
Immerhin jeder zweite Krebspatient kann heute geheilt werden. Das mag Ihnen wenig erscheinen, ist aber ein erheblicher Fortschritt. In den siebziger Jahren konnten wir nur jeden vierten retten.
Angesichts der vielen Milliarden Euro für die Krebsforschung finden wir das tatsächlich wenig.
Krebs ist eine komplizierte Familie von Krankheiten. Es gibt über zweihundert verschiedene Krebsarten beim Menschen, die jedes Organ im Körper befallen können. Wir mussten daher erst einmal besser verstehen, wie aus einer gesunden menschlichen Zelle eine Krebszelle wird und welche Rolle die Gene dabei spielen.
Das viele Geld hat die Forschung nicht beschleunigt?
Kein Gebiet liefert so viele innovative Medikamente wie die Krebsforschung. Und um eines klarzustellen: So viel Geld fließt hierzulande gar nicht. Deutschland gibt jährlich 300 Millionen Euro aus. Allein das National Cancer Institute, unsere Partnerorganisation in Amerika, hat 5 Milliarden Dollar jährlich zur Verfügung. Die Entwicklung eines einzigen Medikaments erfordert im Schnitt 800 Millionen Dollar.
Werden wir irgendwann keine Krebskranken mehr haben?
Die Zahl der Krebserkrankungen wird altersbedingt sogar weiter ansteigen. Allerdings werden in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren viel weniger Menschen an Krebs sterben. Für viele Krebsarten kommen neu gezielt wirksame Medikamente. Wir werden zwar den Krebs bis dahin nicht geheilt haben, aber wir werden ihn in eine langdauernde chronische Krankheit umwandeln, mit der man leben kann.
Chronisch Kranke brauchen ihr Leben lang teure Medizin.
Ja, das ist so. Viele können aber mit diesen Medikamenten ein erfülltes Leben haben.
Gibt es schon Beispiele?
Bei einer Form der Leukämie können durch das Medikament Glivec die Patienten von ihrer Krankheit befreit werden. Allerdings muss das Medikament tatsächlich lebenslang gegeben werden, weil der Krebs zurückkommt, wenn das Medikament abgesetzt wird. Wissenschaftler aus unserem Hause haben gerade eine Möglichkeit gefunden, wie man diesen Rückfall verhindern kann, so dass man das teure Medikament doch nur für eine bestimmte Zeit nehmen muss.
Was ist zu tun, um den Krebs endgültig zu besiegen?
Zunächst müssen wir die möglichen Krebsrisiken schon bei Gesunden erfassen.
Sie können doch nicht die ganze Welt auf alle denkbaren Krankheitsrisiken scannen?
Ich bin überzeugt, dass wir so in einigen Jahren Risiken beim Einzelnen viel besser erfassen und den Krebs frühzeitig erkennen können. Damit steigen die Heilungschancen dramatisch.
Sie glauben an Prävention?
Aber ja. Wenn die Diagnose Krebs heute gestellt wird, ist die Krankheit in vielen Fällen bereits zu weit fortgeschritten. Wer mit fünfzig Jahren eine Darmspiegelung machen lässt und es wird nichts Gravierendes gefunden, kann davon ausgehen, dass er in den kommenden 15 bis 20 Jahren keinen Darmkrebs bekommen wird. Vorsorge ist immer billiger als die spätere Behandlung.
Wir hören Horrorgeschichten von Mammografien oder Prostata-Untersuchungen, die zu sinnlosen Operationen führen und nicht wiedergutzumachende Folgen haben.
Tatsächlich haben wir ein Problem in der Qualität der Vorsorge. Wir müssen die Qualität verbessern, nicht die Vorsorge streichen.
Aber es gibt doch auch noch das Kostenargument: Darmspiegelung für alle Bundesbürger? Das wird teuer.
Stimmt. Deshalb brauchen wir Testverfahren für Gesunde, die das Erkrankungsrisiko aus Erbgut, Umwelt oder Lebensweise dokumentieren. Dort, wo das Risiko ist, können wir dann gezielt präventiv tätig werden.
Ihr Plädoyer heißt also: Gentests für alle?
Gentests sind ein möglicher Weg. Im Moment ist ein großes internationales Konsortium dabei, das gesamte Erbgut von 25.000 Krebspatienten aus aller Welt zu entschlüsseln, um herauszufinden, welche Erbgutveränderungen mit welchem Krebs zusammenhängen.
Und Genanalysen sind billig?
Wir streben an, dass in etwa fünf Jahren jeder Patient in unserem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen eine komplette Erbgutanalyse erhält. Das dauert dann noch einen Tag und kostet mit unter 1000 Euro nicht mehr als eine Kernspintomographie.
Wer will sein Schicksal kennen? Gegen Genanalysen gibt es große Widerstände.
Da steht uns eine große öffentliche Debatte bevor, die wir offen und ehrlich führen müssen.
Kennen Sie Ihr eigenes Genom?
Nein. Aber ich werde bei mir eine Genanalyse machen lassen.
Manchmal ist auch Nichtwissen eine Gnade.
Sie erhalten ja kein unabänderliches Wissen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten und Risiken. Dann wissen Sie, dass Sie mit veränderten Lebensgewohnheiten oder entsprechender vorbeugender Therapie die Krankheit abwenden können.
Finanzieren die Kassen eine Genanalyse?
Heute nur dann, wenn es Hinweise gibt, dass eine Familie von einer Erbkrankheit betroffen ist. Das wird sich vermutlich bald ändern.
Und wer keine Genanalyse macht, wird sanktioniert und bekommt später zur Strafe keine teure Behandlung?
Das hielte ich nicht für gerechtfertigt. Denken Sie daran, dass heute dreißig Prozent aller Krebserkrankungen durch Rauchen verursacht werden. Aber natürlich bestrafen wir keine Raucher in der Krebsbehandlung. Das wäre für unseren Kulturkreis undenkbar. Ich bin froh darüber, dass bei uns jeder die Behandlung erhält, die er braucht.
Das ist die Illusion des Schlaraffenlandes! Wenn es heute Krebsmedikamente gibt, die 3000 Euro im Monat kosten, nur um das Leben wenige Monate zu verlängern, dann können wir uns diesen Luxus bald nicht mehr leisten. Bei knappen Budgets können nicht alle alles kriegen.
Ich predige nicht das Schlaraffenland. Wir werden uns einer Debatte über Rationierung von medizinischen Leistungen stellen müssen. Vorher wäre aber schon viel gewonnen, wenn wir gezielter behandeln und wirkungslose Therapien meiden würden.
Was sind die Kriterien der Rationierung?
Erst müssen wir Effizienzreserven nutzen, bevor wir rationieren. Dann aber müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, was und wie viel Geld wir in medizinische Behandlung investieren. Ich bin überzeugt, die Menschen sind bereit, mehr für gute Medizin aufzubringen als heute. Insbesondere dann, wenn sie den Eindruck haben, sie bekommen eine erstklassige Behandlung auf der Grundlage der neuesten Forschung. Solange wir so viel Geld für Wellness ausgeben, scheint mir das keine Frage zu sein.
Heute geben die Deutschen rund 13 Prozent ihres Wohlstands für ihre Gesundheit aus. Wie viel ist Ihrer Meinung nach zumutbar?
Ich denke, zwanzig Prozent sind akzeptabel.
Wir hören immer, dass heute schon implizit rationiert wird. Der eine muss länger warten, der andere kommt gleich dran und bekommt sein teures Krebsmedikament.
Es macht mir Sorge, wenn ich von Fällen höre, in denen unter der Hand bevorzugt behandelt wird. Bei der Krebsbehandlung in größeren Kliniken kann ich mir das kaum vorstellen. Ich glaube, da stehen die Kollegen in der Praxis mit ihren gedeckelten Budgets unter einem viel stärkeren Druck.
Angenommen, wir kommen zu Ihnen als schwer krebskranke Patienten und betteln um das neueste teure Medikament. Werden Sie dem Wunsch nachkommen, auch wenn Sie wissen, dass das nichts mehr nützt? Bevor der Arzt zugibt, dass seine Kunst am Ende ist, gibt er lieber noch ein Mittel, oder?
So einfach ist es nicht. Jeder Krebs ist anders und hat einen individuellen Verlauf. Deshalb wird der Arzt, der täglich mit solchen Situationen konfrontiert wird, dem Patienten eine weitere Behandlung anbieten, solange eine geringe Aussicht auf Wirksamkeit besteht.
Sie leiten eine Forschungseinrichtung mit 2500 Mitarbeitern. Können Sie sagen, Sie haben den Krebs inzwischen verstanden?
In der Tat hat auf unserem Gebiet eine Wissensexplosion stattgefunden. Wir haben die Phase, in der wir auf Grundlagenforschung beschränkt waren, verlassen. Jetzt beschäftigt uns zunehmend, neue Behandlungen und Diagnoseverfahren zu entwickeln und zu erproben. Dafür kooperieren wir mit Firmen wie Siemens und Bayer. Die Krebsforschung ist in einer sehr spannenden Phase. Wir entwickeln echte Innovationen, die uns den Krebs besiegen helfen. Dafür benötigen wir nachhaltige Unterstützung. Wir brauchen mehr privates Engagement.
Werden unsere Kinder noch erleben, dass der Krebs besiegt ist?
Nein, aber sie werden Krebs als Krankheit erleben, die ihren alten Schrecken verloren hat.
Das Gespräch führten Rainer Hank und Winand von Petersdorff
Aktuelle Pressemeldungen
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Mammakarzinom: Anamnese schlägt Gentests
Bethesda – Eine kurze Befragung der Patientin kann unter Umständen kostspielige Gentests ersetzen. In einer Vergleichsstudie im New England Journal of Medicine (2010: 362: 986-993) sagte das konventionelle Gail-Modell, das allein auf anamnestischen Angaben beruht, ein Mammakarzinom genauso gut (oder schlecht) voraus wie zehn Gentests.
In den vergangenen Jahren wurden in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) insgesamt zehn Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) gefunden, deren Trägerinnen ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben.
Anders als die bekannten Brustkrebsgene BRCA1 und 2, die das Lebenszeitrisiko einer Frau (in westlichen Industrieländern) von 12 auf 60 Prozent erhöhen, ist die Aussagekraft der zehn SNP gering. Jedes einzelne erhöht das Risiko relativ um 5 bis 25 Prozent und ihr Anteil am familiären Risiko beträgt zusammengenommen gerade einmal 5 Prozent.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die modernen Gentests dem Gail-Modell nicht überlegen sind. Die von Mitchell Gail, einem Statistiker am US-National Cancer Institute (NCI), in den 80er-Jahren entworfene Risikoberechnung gründet sich allein auf Angaben zum aktuellen Alter, zum Alter bei der Menarche und bei der Geburt des ersten Kindes, zu Brustkrebserkrankungen in der Familie, zu früheren Biopsien und zu anderen Erkrankungen der Brust.
zum Thema
• Abstract der Studie: http://content.nejm.org/cgi/content/short/362/11/986
• Pressemitteilung des US-National Cancer Institute http://www.cancer.gov/newscenter/pressreleases/GeneticVariantsBreast
• Brustkrebsrisiko-Rechner: http://www.cancer.gov/bcrisktool/
Dieses Modell ist alles andere als zuverlässig. In einer Receiver Operating Characteristic (ROC)-Analyse ermittelte Sholom Wacholder jetzt einen Wert von 59,7 Prozent. Optimal wären 100 Prozent und bei 50 Prozent könnte man genauso gut würfeln. Dafür ist der Test aber kostenlos. Im Internet gibt es eine Reihe von Risikorechnern.
Die Alternative besteht in einem Gentest auf die zehn bekannten SNP. Doch in der Analyse von Wacholder erreichten sie zusammen gerade einmal einen Wert von 58 Prozent, also weniger als im Gail-Test. Beide zusammen steigerten den Wert auf 61,8 Prozent, was derzeit ebenfalls kein Argument für die Investition in einen Gentest sein dürfte. © rme/aerzteblatt.de
Schatten auf dem Schirm
Ist das hochgelobte deutsche Mammografie-Programm effizient genug? Die Brustkrebsvorsorge kämpft mit Problemen.
Von Nicol Kuhrt | Ulrich Bahnsen
Über die Wirksamkeit der Heilmittel, die das Kabinett Schröder den Deutschen verordnete, liegt die Republik seit Jahren im Streit. Die Gesundheitspolitik ist – neben Hartz IV – der Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte. Unter Fachleuten besonders umstritten ist eine spezielle Facette der rot-grünen Therapie: das staatliche Früherkennungsprogramm für Brustkrebs.
Als eines der letzten EU-Länder führte Deutschland 2005 dieses Programm ein, seither haben alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren Anspruch auf die Vorsorgeuntersuchung. »Mammografie rettet Leben«, verkündete die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bei jeder Gelegenheit. Bis zu 400 Millionen Euro im Jahr müssen die Krankenkassen dafür nun aufwenden. Doch ist das Geld für das aufwendige Programm wirklich gut angelegt? Unter den Fachleuten herrscht da Zwist.
Zwar bezweifelt kaum jemand, dass die Mammografie im Einzelfall tatsächlich Leben retten kann. Doch nach fast fünf Jahren Praxis zeigt sich: Aufs Ganze gesehen, kollidieren die euphorischen Modellrechnungen von einst schmerzhaft mit der bundesdeutschen Wirklichkeit. So ist zum einen keineswegs gesichert, dass die Sterblichkeit durch das Massenscreening wirklich so markant sinken wird, wie die Befürworter es prophezeien. Zum anderen, behaupten Kritiker, könne man mehr Leben retten, wenn das Geld in Vorbeugung und bessere Therapien gesteckt würde. Überdies leidet das hochgelobte Mammografie-Programm an schwächelnder Beteiligung. Ob es seine ambitionierten Ziele erreichen kann, erscheint da eher fraglich. Desillusioniert urteilen Fachleute hinter vorgehaltener Hand: »Wird nicht viel nützen, schadet aber auch nicht.«
Dabei war das Screening eines der großen Projekte Ulla Schmidts – eines der wenigen, die sie als politischen Erfolg verbuchen durfte. Vor dem Parlament hatten ihre Experten eindrucksvolle Zahlen aus europäischen Nachbarländern präsentiert: Die Zahl der Brustkrebstoten ließe sich durch Früherkennung um 20 bis 30 Prozent senken, jährlich könne man in Deutschland 3500 Frauen retten. Immerhin geht fast ein Drittel aller Krebsfälle bei Frauen auf das Konto dieses Tumors: 57.000 Frauen erkranken hierzulande im Jahr an Brustkrebs, 17.000 sterben daran.
Noch 2008 jedenfalls wähnte sich Schmidt der Dankbarkeit des weiblichen Wahlvolks sicher: »Das Mammografie-Screening kommt bei den Frauen gut an!« Durchgreifende Erfolge bescheinigte sich kürzlich auch die Kooperationsgemeinschaft Mammographie, die Leitstelle der dezentralen Früherkennung. Ihr erster Evaluationsbericht widerlege die Zweifel am Screening und zeige den Nutzen für alle Frauen, die daran teilnähmen, erklärte deren Beiratsvorsitzender Thorsten Kolterjahn vor der Presse.
Auch der Epidemiologe Nikolaus Becker vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) lobt das neue Screening in qualitätsgeprüften Zentren: Unter den untersuchten Frauen sei die Zahl der entdeckten Krebsfälle genau so in die Höhe geschnellt, wie »man dass von einem qualitativ gut durchgeführten Früherkennungsprogramm in einer zuvor nicht untersuchten Bevölkerung erwartet hat«. Das zeige, meint Becker, dass die Einführung des Programms gerechtfertigt gewesen sei. Es sei jedenfalls besser als das früher übliche »graue Screening« bei den niedergelassenen Medizinern, die mit Abtasten und Röntgenuntersuchungen dem Brustkrebs auf die Spur kommen wollten – und mangels notwendiger Expertise »miserable Ergebnisse abgeliefert haben«.
Die Bonner Radiologin Christiane Kuhl rät den Frauen zur Teilnahme am Screening: »Jede Frau hat einen individuellen Vorteil, wenn sie eine qualitativ gute Mammografie bekommt, denn sie erhält die derzeit beste mögliche Diagnose.«
Allerdings heißt das im Umkehrschluss nicht, dass das neue Screening-Programm nun hundertprozentige Sicherheit beim Aufspüren von Tumoren böte. Denn auch bei kunstgerechter Anwendung bleibt die Mammografie ein eher schwachsichtiges Verfahren: Von 1000 Frauen, die über einen Zeitraum von 20 Jahren gescreent werden, erhalten 300 einen Verdachtsbefund; am Ende wird allerdings nur 50 Frauen tatsächlich die Diagnose Brustkrebs gestellt. Fünf von diesen Frauen werden durch die Früherkennung zusätzlich gerettet. Ihnen stehen aber fünf weitere Frauen gegenüber, die dabei zu Schaden kommen können: Ihr diagnostizierter Tumor ist entweder keiner, oder er bedarf keiner Behandlung. Bis zu zehn Prozent aller behandelten Brusttumoren könnten zu diesen »indolenten« Krebsformen gehören, schätzen Fachleute.
Zur medizinischen Bilanz gehört auch das Eingeständnis, dass für 50 Frauen, deren Krebs korrekt erkannt wurde, 15 weitere nach einem Screening als gesund nach Hause geschickt werden, obwohl sie bereits erkrankt sind. Vielen weiteren mit unklaren Befunden beschert das Screening schlaflose Nächte und ungerechtfertigte Ängste. Die Mammografie, gab die Deutsche Röntgengesellschaft im Jahr 2007 im Bundesgesundheitsministerium zu Protokoll, habe »also Schwächen, die weder durch eine Schulung der interpretierenden Radiologen noch durch qualitätssichernde Maßnahmen auszugleichen sind«. Das werde den Frauen nicht klar kommuniziert.
In dieser Rechnung erscheint der Gesamtnutzen des Screenings am Ende überschaubar. Lohnt sich dafür der gewaltige Aufwand? Immerhin ist das deutsche Programm mit einer Zielgruppe von zehn Millionen Frauen das größte in Europa. Zwar haben andere Länder wie die Niederlande, Großbritannien und Schweden schon Ende der achtziger Jahre ihre nationalen Früherkennungsprogramme gestartet, die Deutschen sind also Nachzügler in der EU. Und statt ein zentral gesteuertes Screening aufzulegen, glänzte man durch föderale Umständlichkeit. Zur Umsetzung gründeten die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der Krankenkassen die Kooperationsgemeinschaft Mammographie, unterteilten das Land in 94 von der Personenzahl her gleich große Gebiete (jeweils rund eine Million) und erstellten Leitlinien zum Mammografie-Screening nach europäischen Vorgaben. Schließlich suchte man geeignete Radiologen und Gynäkologen für die Arbeit vor Ort.
Die ersten Screening-Einheiten gingen 2005 in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern an den Start, Mitte 2009 hatten alle Einheiten ihren Betrieb aufgenommen. Fünf Referenzzentren in Berlin, Oldenburg, Münster, Marburg und München übernehmen die Qualitätssicherung und die Aus- und Weiterbildung der Ärzte und radiologischen Fachkräfte. Auch die Röntgengeräte werden kontrolliert: Jeden Morgen, bevor die Untersuchungen beginnen, läuft ein Test zur Strahlensicherheit.
Angesichts dieses Aufwands wirkt der Blick in das Zahlenwerk der Kooperationsgemeinschaft Mammographie ernüchternd: In den ersten drei Jahren bis Ende 2007 hatten nur 52,6 Prozent aller berechtigten Frauen – bezogen auf die Bundesländer, in denen es bereits Screening-Einheiten gab – wenigstens eine Einladung zur Untersuchung erhalten, von ihnen wiederum nahm rund die Hälfte an der Untersuchung teil. Unterm Strich hatte demnach ein Viertel der Frauen in der Zielgruppe von der Mammografie Gebrauch gemacht. »Das ist unbefriedigend«, sagt die Hamburger Brustkrebsexpertin Ingrid Schreer.
Die Zahlen seien »an sich nicht so schlecht«, hält Nikolaus Becker dagegen. »Es kommt nun darauf an, die Beteiligung in die Höhe zu treiben«. Die EU-Leitlinien schreiben eine Quote von mindestens 70 Prozent der Frauen zwischen 50 und 69 Jahren vor, in vielen Mitgliedsländern liegen sie sogar noch höher.
Nicht nur wegen der schwächelnden Teilnahme der Frauen steht das Versprechen der Krebsbekämpfer in Deutschland auf schwankendem Grund: Selbst bei der EU-weit geforderten Quote könnte man nur auf einen Rückgang der Sterblichkeit um 30 Prozent hoffen, wenn zuvor gar keine Untersuchungen stattgefunden hätten. In anderen EU-Ländern war das so. Hierzulande indessen hatte das »graue Screening« beachtliche Ausmaße angenommen. Quer durch die Republik, bei Frauen aller Altersgruppen, wurden in der Vergangenheit jährlich sechs Millionen Röntgenuntersuchungen durchgeführt, davon vier Millionen zulasten der Kassen.
Und weil diese Art der Untersuchung beim Frauenarzt des Vertrauens mit dem Start des Mammografie-Programms nicht unterbunden wurde, sind die deutschen Verhältnisse für Epidemiologen nun ein wahrer Albtraum. Wie zwei Parallelwelten existieren »graues« und organisiertes Screening nebeneinander. So bleibt unklar, wie sich die Klientel der staatlichen Früherkenner zusammensetzt: Sind es vorwiegend Frauen, die früher nie zur Mammografie gingen und nun das staatliche Programm in Anspruch nehmen? Haben viele Frauen ihrem Gynäkologen den Rücken gekehrt – oder nutzen sie sogar beide Angebote? Angesichts solcher Unwägbarkeiten ahnt man bereits, dass künftige statistische Aussagen über Erfolg oder Misserfolg der Massendurchleuchtung der Fachwelt sofort Anlass zu erneuten Streitereien geben werden.
In Ländern mit zentral organisierter Gesundheitsversorgung hätten die Frauen keine Alternative, sagt Ingrid Schreer, »da gibt es staatliches Screening oder gar keine Mammografie«. Deshalb sei die Beteiligung in anderen EU-Staaten viel höher. »Die sind mit 70 Prozent gestartet und arbeiten jetzt mit 80 Prozent«, sagt Schreer.
In Deutschland haben die Organisatoren dagegen nicht nur mit den Gesetzen der Statistik, sondern auch mit ganz weltlichen Fallstricken zu kämpfen. So verhindert etwa der Föderalbürokratismus, dass alle berechtigten Frauen zur Untersuchung eingeladen werden konnten. Aus Gründen des Datenschutzes ist es nicht zulässig, dass die zentralen Screening-Stellen die Adressen der Frauen selbst verwalten. Nach langem Streit einigte man sich darauf, dass die Einwohnermeldeämter die Daten regelmäßig – für einen limitierten Zeitraum – zur Verfügung stellen. Nach der Einladung sind diese wieder zu löschen. Selbst dafür mussten in jedem Bundesland die Meldegesetze geändert werden.
Doch längst nicht jedes der 5283 deutschen Meldeämter ist in der Lage, die anspruchsberechtigten Frauen zu identifizieren. »Vom hoch technisierten Amt bis zur Meldestelle, die noch mit Karteikarten arbeitet, ist alles dabei«, sagt Barbara Marnach-Kopp, Sprecherin der Kooperationsstelle Mammografie. »Manche Ämter verlangen sogar Geld dafür, dass sie die Daten bereitstellen.« Der Anspruch, flächendeckend zu arbeiten, könne so nicht erfüllt werden. Durch Verwendung überalterter oder falscher Daten werden nicht alle Frauen erreicht, manchmal bereits Verstorbene zur Untersuchung eingeladen. Die föderale Struktur sei hinderlich, sagt Ingrid Schreer. »Da kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen.« Das führe auch dazu, dass unterschiedliche Informationen an die Frauen verschickt werden.
Iris Michelmann hat die Folgen täglich vor Augen. Sie ist für die Koordination in der Screening-Einheit 5 (SE 5), Großraum Wuppertal, zuständig und erlebt gerade, dass das lokale Einwohnermeldeamt die Stadtteil-Zusätze »Vohwinkel«, »-Barmen« und »-Elberfeld« streicht. Die Folge: Viele Wuppertalerinnen erhalten nun eine zweite Einladung. »Frauen, die erst vor Monaten bei uns waren, sind zu Recht verwirrt«, sagt Michelmann. Manche kommen und müssen weggeschickt werden. Das sei nicht nur ärgerlich, es unterminiere die Basis des Programms – »das Vertrauen in unsere Arbeit«.
Ohnehin wisse man nie, wie viele Frauen der Einladung wirklich folgten, sagt Michelmann. Wie lädt man in einer Region mit einer Million Einwohnern die Frauen zur Mammografie ein, ohne dass Chaos entsteht? »Manchmal kommen sie alle, manchmal bleibt das Wartezimmer leer«, sagt Michelmann. Berichten die Zeitungen über Brustkrebs bei einer Prominenten, »können wir tagelang zusätzliche Stühle aufstellen«.
Die SE 5 ist für 150548 Frauen zuständig. Zwei programmverantwortliche Ärzte in radiologischen Praxen, unterstützt durch zwölf weitere Mediziner, übernehmen die Begutachtung der Mammografie. Die Röntgengeräte stehen in den Praxen der Städte, das Mammobil fährt über die Dörfer. Gescreent wird auf Marktplätzen, vor Gemeindezentren oder auf der Busspur.
Vor allem psychologisches Feingefühl ist an vielen Stellen nötig. Die meisten Frauen kämen damit zurecht, dass sie zwei Wochen auf ihr Ergebnis warten müssen, berichtet Michelmann. »Da immer zwei Ärzte unabhängig voneinander die Aufnahmen begutachten und nicht eindeutige Fälle noch einmal mit weiteren Medizinern besprochen werden, kann es eben ein wenig dauern.« Manche Frauen aber seien sehr ängstlich und riefen regelmäßig in der Screening-Stelle an.
Ist der Befund auch nach eingehender Besprechung zweideutig, wird eine erneute Untersuchung nötig. Manche Screening-Einheiten rufen an, um den Frauen alles Weitere persönlich zu erklären. Andere schicken einen Brief, achten aber darauf, dass das Schreiben nicht am Samstag im Briefkasten landet. Ein Wochenende, an dem kein Arzt erreichbar ist, soll den Betroffenen erspart bleiben. Denn es kann passieren, dass nach einer unklaren Untersuchung Gewebe entnommen wird, sich diese Biopsie im Nachhinein aber als unnötig herausstellt.
Hinzu kommt, dass es bei der Leistung der einzelnen Screening-Einheiten erhebliche Unterschiede gibt. Das ist in der Fachwelt ein offenes Geheimnis. Die aufgeschlüsselten Kennzahlen werden jedoch von der Kooperationsgemeinschaft unter Verschluss gehalten. Wie gut ihre zuständige Einheit arbeitet, bleibt den Frauen somit verborgen. Nikolaus Becker vom DKFZ fordert daher: »Die Referenzzentren haben nun die Aufgabe, an manche Kollegen heranzutreten und sie aufzufordern, sich an Schulungen zu beteiligen.«
Auch bei der Steuerung, Auswertung und Dokumentation der Untersuchungsergebnisse liegt noch manches im Argen: So sollte eine spezielle Software alle Bereiche der Röntgenuntersuchung koordinieren – von der Terminvergabe über die Analyse der Befunde bis hin zur Abrechnung der ärztlichen Leistung. Doch statt eine funktionierende Softwarelösung etwa aus den Niederlanden zu übernehmen, ließ die Kassenärztliche Vereinigung Bayern, die das Screening bereits im Jahr 2002 im Freistaat gestartet hatte, ihr Programm MammaSoft entwickeln. Prompt präsentierten die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und Westfalen-Lippe ein eigenes System, MaSc.
So kam es besonders zu Beginn des Screening-Programms zu technischen Problemen, die Dokumentation folgte zunächst unterschiedlichen Vorgaben und ist nicht in allen Punkten vergleichbar. »Ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir erst vor zwei Jahren gestartet sind«, sagt Jutta Lübbering-Schmidt vom Hamburger Screening-Zentrum. Mittlerweile seien die schlimmsten Anfangsschwierigkeiten zum Glück ausgemerzt.
»Es muss viel verbessert werden«, fasst Angela Spelsberg, ärztliche Leiterin des Tumorzentrums Aachen, die Erfahrungen zusammen. Die großartigen Erwartungen an das Mammografie-Screening, die seinerzeit die Politik weckte, wurden bislang nicht eingelöst. Einigkeit herrscht bei den Fachleuten nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner: besser ein mühsam anlaufendes Mammografie-Programm als gar keines. »In der föderalen Bundesrepublik so etwas auf die Beine zu stellen«, sagt Ingrid Schreer, »das allein ist doch schon eine tolle Leistung.«
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